Ich stehe neben meiner Chefin auf der Bühne. Es sind etwa 60 Menschen aus dem Bereich gekommen. Wir beide haben von einem Fehler erzählt, den wir gemacht haben. Wir haben auch kurz berichtet, was wir daraus gelernt haben. Mal sehen, ob sich jetzt auch ein Mitarbeiter auf die Bühne traut….

Neues entsteht durch experimentieren

Ich bin Experimentalphysiker. Im Laufe meines Studiums, während der Diplomarbeit und dann auch in der Promotion habe ich dutzende von dicken DIN A4 Schreibbüchern vollgeschrieben. Jede Beobachtung wurde festgehalten. Die Ergebnisse analysiert. Schlussfolgerungen gezogen und dann das Experiment leicht verändert und wieder durchgeführt. Solange bis eine neue Idee bewiesen war.

Die Kladden waren voll mit gescheiterten Experimenten. Mit Beobachtungen. Mit Überlegungen, warum sie gescheitert waren, und Ansätzen, das Experiment leicht zu ändern. Noch bei meiner Diplomarbeit waren es reale Experiment, die sorgfältig aufgebaut wurden und viel Zeit zum Messen brauchten. Später konnte ich vieles im Computer simulieren. Aber auch hier dauerte ein Simulationslauf zwei oder drei Tage.

Viel Zeit die meistens mit einem „scheitern“ endete. Ich verstand mal wieder, wie es nicht geht. Aber keines dieser Experimente frustrierte. Mein Prof kam auch nie zu mir und sagte: du darfst keine Fehler machen. Im Gegenteil, er half geduldig bei der Analyse und der Planung der nächsten Experimente.

Agiles Management muss Fehler erlauben

Klassische Manager erwarten in der Regel, dass alle Prozesse und Abläufe fehlerlos sind. Das wir ohne Fehler arbeiten. Wir alle schätzen das sehr, spätestens wenn wir in ein Flugzeug steigen und erwarten, dass es wie geplant startet, fliegt und uns ans gewünschte Ziel bringt.

In der heutigen sich sehr schnell verändernden Welt bringen uns die bekannten Lösungen und Arbeitsweisen aber oftmals nicht weiter. Es muss etwas Neues her. Die Methoden des agilen Managements helfen uns, neue Wege auszuprobieren. Neues entsteht durch ausprobieren. In kleinen Iterationen nähert man sich einer Lösung.

Wie bringt man aber Mitarbeiter dazu, Neues auszuprobieren und dabei auch zu scheitern? In unseren typischen Organisationen sind die Mitarbeiter seit Jahrzenten darauf trainiert zuverlässig und fehlerfrei zu arbeiten. Leider keine gute Voraussetzung. Es muss eine neue Fehlerkultur her. Eine Kultur, in der offen über Fehler gesprochen wird. In der sie als selbstverständlich angesehen werden, damit man daraus lernen kann.

Mit dem Fehlerjoker Experimente einfordern

In der IT der GIZ habe ich den Fehlerjoker eingeführt. Jeder Mitarbeiter bekam eine Spielkarte. Mit einem Joker darauf und dem Text: „Wenn du einen Fehler machst, gib diese Karte deinem Chef“. Unser Ziel ist es, dass jeder Mitarbeiter innerhalb eines Jahres die Karte ausspielt. Damit er auch Experimente machen muss. Was unbekanntes ausprobieren.

Und wenn der Fehler in den normalen Prozessen erfolgte, ist das auch nicht schlimm. Wenn ein Mitarbeiter den Fehlerjoker ausspielt, soll er seinem Chef erklären, was passierte und was er daraus lernte. So werden auch die regulären Prozesse kontinuierlich verbessert.

Eine Fehler-Fuck-Up Party mit Zitronen

Meine Chefin und ich standen bei der ersten „Fehler-Fuck-Up-Party“ unseres Bereichs auf der Bühne. Frei nach dem Motto: „Wenn das Leben dir Zitronen schenkt, mach Limonade daraus“ hat jeder Besucher eine Zitrone bekommen. Die Idee war, dass so der „beste, coolste“ Fehler prämiert werden konnte. Für das gesellige Zusammensein danach stand eine Zitronenpresse und reichlich Zucker bereit.

Von den 60 Teilnehmer kamen 10 Personen auf die Bühne. Sie erzählten von völlig unterschiedlichen Fehler. Den Knaller brachte Hanne. Hanne arbeitet als Administratorin in dem Dokumentenmanagementsystem der GIZ mit rund 20 Millionen Dokumenten.

Ihr Fehler war, dass sie einmal (war schon ein paar Jahre her) tausende von Dokumenten in falsche Ordner verschob. Sie brauchte ein paar Wochen, um den Fehler zu beheben. Ein paar Wochen, in denen einige Nutzer des Dokumentenmanagementsystems stark eingeschränkt waren. Sie war so belastet, dass sie wochenlang nicht schlafen konnte.

Ihre Erleichterung, dass sie endlich von Ihrem Fehler erzählen konnte, ist ihr auf dem Bild anzusehen.