Wir sitzen im War-Room. Mein IT-Sicherheitschef, das Infrastrukturteam und die Notfalleingreiftruppe von Microsoft. Der Angriff der Hacker läuft. Die Lage ist bedrohlich. Wenn sie wollten, könnten sie unser gesamtes Mailsystem löschen. Wir haben vier Mailserver, die sich gegenseitig synchronisieren, es gibt aber kein Backup außerhalb dieses Clusters. Eine schnelle Entscheidung muss getroffen werden.

Mitarbeiter wollen Klarheit und mutige Chefs

Als IT-Leiter der GIZ habe ich viele Entscheidungen getroffen. In meinen 12 Jahren wurde ich immer wieder spontan von meinen Gruppenleitern und von deren Mitarbeitern um schnelle Entscheidungen gebeten. Fast immer habe ich auch eine Entscheidung getroffen.

Ein Führungsinstrument der GIZ sieht einmal im Jahr ein Aufwärtsfeedback vor. Dabei wurde ich von meinen Mitarbeitern immer dafür gelobt, dass ich Entscheidungen treffe. Und dazu auch stehe. Entscheidungen durch den Chef? Passt das zu einem agilen Management? Ich denke ja. Zumindest in einem hierarchischen Unternehmen.

Wenn jemand von mir eine Entscheidung will, frage ich ihn als erstes, warum er das nicht selber entscheiden kann. In dem eingangs beschriebenen Fall ist das schon klar. Die Auswirkung kann gewaltig sein. Ich muss schnell eine Entscheidung treffen. Die Experten haben verschiedene Meinungen, was zu tun ist.

12 Jahre in derselben Einheit sind eine lange Zeit. Viel Zeit, in der zwischen allen Beteiligten Vertrauen entstehen kann und zumindest Klarheit darüber, was der andere kann und was ihm wichtig ist. In so einer Situation ist es bestimmt einfacher, spontan zu entscheiden, als wenn man komplett neu ist.

Mit einfachen, wertebasierten Regeln trifft man bessere Bauchentscheidungen

Spätestens seit Daniel Kahnemanns Wirtschaftsnobelpreis setzt sich durch, dass schnelles Denken, also intuitiv (Bauch)-Entscheidungen zu treffen, manchmal eine gute Alternative zu sorgfältig abgewogenen Entscheidungen ist. Stark vereinfacht sagt Kahnemann, dass jeder in seinem Fachgebiet Intuition lernt. Intuition entsteht durch frühere erfolgreiche Entscheidungen.

Klingt sehr plausibel. Wenn ich reflektiere, wie ich Entscheidungen treffe, beobachte ich aber ein anderes Verhalten. Ich prüfe zuerst, ob ich die Entscheidung treffen muss oder ich sie besser bei dem Fragenden belasse, um seine Kompetenz und Selbstwirksamkeit zu stärken. Dann prüfe ich, ob die Entscheidung zu der IT-Strategie passt, große Auswirkung auf andere hat, hohe Kosten auslöst,…etc.

Sobald ich bei einer Frage feststelle, dass sie einen relevanten Unterschied macht, treffe ich die Entscheidung durch Beantwortung der Frage. Dieses Vorgehen entspricht nicht dem von Kahnemann beschriebenen. Gerd Giegerenzer hat in seinen Forschungen genau so eine Entscheidungslogik als sehr gut beschrieben. Sie basiert auf Heuristiken.

Eine Heuristik ist so etwas wie eine erfahrungsbasierte Daumenregel. Mein Rat ist, sich diese Heuristiken für sich selber festzulegen. Dann wird man bei seinen Mitarbeitern als zuverlässiger, guter und entscheidungsfreudiger Chef wahrgenommen.

In völlig unbekanntem Kontext ist Risikominimierung die bessere Alternative

Ich finde es sehr spannend, dass sowohl Kahnemann als auch Giegerenzer betonen, dass schnelle Entscheidungen nicht immer gut sind. Kahnemann will manche Entscheidungen langsam treffen. Gut durchdacht, sorgfältig alle Vor- und Nachteile bewertend. Klingt auch sehr überzeugend. Jede von mir geschriebene Vorstandsvorlage basiert genau darauf.

Giegerenzer schaut auf den Kontext. Ist die Zukunft planbar oder ungewiss. Wenn sie ungewiss ist, rät er zu Risikominimierung. Ein Beispiel ist Rentenabsicherung. Dieser Zeitraum ist lang und deshalb sehr ungewiss. Wird die deutsche Wirtschaft in 20 Jahren erfolgreich sein? Wie wird sich die Staatsverschuldung entwickeln, Immobilienpreise, Aktienmärkte? Das ist nicht planbar.

Risikominimierung. Man kann zum Beispiel auf verschiedene Alternativen setzen: vielleicht je ein Drittel seines Vermögens in Immobilien, Aktien und Staatsanleihen. Oder man geht bewusst kein existentielles Risiko ein, sondern setzt nur das ein, was man im Verlustfall gut verkraften kann. In Effectuation, also bei der Methode erfolgreicher Unternehmer, ist dieses Prinzip als leistbarer Verlust bekannt.

Ich rate Ihnen als Entscheider, lernen Sie diese beiden Methoden. Entwickeln Sie sich Ihre Heuristik und wenden Sie sie an, wenn eine schnelle Entscheidung von Ihnen erwartet wird und Sie glauben, dass der Kontext planbar ist. In ungewissen und unvorhersehbaren Situationen legen Sie Ihren leistbaren Einsatz an Ressourcen und Zeit fest und gehen Sie einen kleinen Schritt nach dem anderen.

In dem obigen Beispiel habe ich übrigens entschieden, jeden Abend einen anderen Mailserver vom Netz zu nehmen. Dadurch wurde zwar die Performance des Systems verschlechtert, aber es stand noch am selben Abend ein Backup zur Verfügung. Ich habe nach dem Prinzip des leistbaren Verlusts entschieden. Es war die richtige Entscheidung.