Mein 20-jähriger Sohn Luca war mit zwei Kumpels in Italien unterwegs. Zum ersten Mal mit einem Mietwagen. Sie fuhren durch die menschenleere apulische Landschaft, als ein Reifen platzte. Jetzt heißt es, stundenlang auf einen Abschleppwagen zu warten, dachten die Kumpels. Da öffnete Luca den Kofferraum und begann das Gepäck auszuladen, um nach Ersatzreifen und Werkzeug zu suchen.

Selbstwirksamkeit erleben ist der Schlüssel für Selbstverantwortung

Mir und meiner Frau ist es wichtig, dass unsere Kinder ein eigenständiges Leben führen können, Verantwortung übernehmen für ihr Handeln. Wir glauben, dass das die Voraussetzung für ein glückliches und zufriedenes Leben ist. Aber was ist nötig, damit jemand Verantwortung übernimmt?

Ich bin der Meinung, dass die Erfahrung von Selbstwirksamkeit der Schlüssel dazu ist. Nur wer erlebt, dass er mit dem, was er tut, Erfolg hat, wird sich auch an Neues wagen. Und das gilt nach meiner Beobachtung im privaten Leben genauso wie im beruflichen.

Interessanterweise habe ich aber viele Menschen getroffen, die sich im Beruf genau vorgeben lassen, was sie tun sollen. Im privaten Umfeld übernehmen sie mehr Verantwortung als im beruflichen. Was ist da passiert? Ich habe die Hypothese, dass dies das Ergebnis stark ausgeprägter Hierarchien ist. Chefs, die im Detail steuern und korrigieren, zeigen dem Mitarbeiter durch ihr Handeln ständig: Du bist nicht gut genug. Dabei spielt es keine Rolle, was sie sagen, die Handlung zählt.

Sich an Neues wagen, ausprobieren – in einer ungewissen Welt die Voraussetzung für Erfolg

Für ein Unternehmen, das im Wettbewerb steht und sich verändern muss, sind Mitarbeiter, die keine Verantwortung übernehmen, eine ungenutzte Chance. Keine Neugier, keine Lust, etwas Neues auszuprobieren, sich persönlich weiterzuentwickeln. Wie soll sich ein Unternehmen weiterentwickeln, den vielfältigen Herausforderungen erfolgreich stellen, Neues schaffen, wenn sich seine Mitarbeiter nicht weiterentwickeln wollen?

Ich bin der Meinung, dass die Unternehmen heute die Kompetenzen und Erfahrungen ihrer Mitarbeiter nutzen müssen, um sich behaupten zu können in der sich schnell verändernden Umwelt. Und dazu benötigen sie Mitarbeiter die Verantwortung übernehmen und neugierig sind. Wie schaffen erfolgreiche Unternehmen das?

Eine spannende Analyse hat Frederic Laloux in seinem Buch „Reinventing Organisation“ zusammengestellt (eine kurze Zusammenfassung gibt es hier). Die untersuchten Unternehmen stärken ihre Mitarbeiter, indem sie ihnen Verantwortung übertragen. Die Mitarbeiter erleben sich als selbstwirksam und haben so die Motivation, neue Lösungen auszuprobieren.

Haltung vermittelt sich von alleine, durch Vorleben und praktisches Tun

Selbstwirksamkeit zu entwickeln hat viel mit Haltung zu tun. Die Haltung wird in der richtigen Unternehmenskultur gefördert. Haltung zu verändern ist ein längerer Prozess, der aber durch praktisches Tun ohne theoretische Kulturarbeit ganz einfach eingeführt werden kann. Hier finde ich, dass das Effectuation-Mindset extrem hilfreich ist. Der Vorteil ist, dass es sehr schnell praktisch wird. Der Fokus liegt auf dem Tun und nicht auf Diskussionen über Leitbilder und Werte.

Übrigens ist das genau wie in der Kindererziehung oder einer guten Ausbildung. Man vermittelt die eigenen Werte und Haltungen an die Kinder durch die Handlungen, das praktische Tun. Dazu gehört eine wohlwollende und stärkende Haltung. Bei Eltern fast natürlich gegeben, bei Führungskräften leider nicht immer.
Eine Führungskraft, die so führen will, arbeitet wie ein Coach. Und es kann natürlich nicht jeder Mitarbeiter alles gleich gut. Individuelle Stärken erkennen und fördern gehört ebenso zur Rolle der Führungskraft. Dabei finde ich, dass es keinen schöneren Erfolg gibt, als anpackende Mitarbeiter zu haben, die eigenständig Lösungen entwickeln.

Leider war ich bei dem Reifenwechsel in Italien nicht dabei, als mein Sohn von seinen Kumpels als kleiner Held gefeiert wurde. Das hat seine Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit sicher enorm gesteigert – und viele Stunden Reifenwechsel mit seinem Besserwisser-Vater relativiert.